Das Sourcing-Dilemma der deutschen Automobilindustrie
Der internationale Wettbewerb nimmt zu – vor allem innerhalb Europas, wo die Lohnkosten zum Teil deutlich niedriger sind. Laut VDA lagen die Arbeitskosten in der deutschen Automobilbranche 2023 bei durchschnittlich 62 € pro Stunde, in Spanien hingegen bei 29 €, in Portugal sogar nur bei 20 €. Diese Differenz zwingt Sourcing-Teams dazu, bestehende Strategien und Fertigungsstandorte grundlegend zu hinterfragen.
Gleichzeitig stehen viele deutsche OEMs und Tier-1-Zulieferer unter dem Druck, ihre Wertschöpfungsketten im Inland zu halten – sowohl aufgrund interner Zielsetzungen als auch politischer Erwartungen. Nähe, regulatorische Sicherheit und gewachsene Lieferantenbeziehungen spielen weiterhin eine Rolle. Doch lassen sich diese Faktoren immer schwerer rechtfertigen, wenn andere Regionen deutliche Kostenvorteile bieten.
Das stellt Cost Engineers vor eine echte Herausforderung. Auf der einen Seite stehen strategische Partnerschaften mit lokalen Lieferanten. Auf der anderen Seite der Druck, aggressive Kostenziele zu erreichen, um bei globalen Ausschreibungen wettbewerbsfähig zu bleiben. Dabei ist es nicht unüblich, dass Lieferantenangebote unklare Arbeitsanteile enthalten oder Annahmen gebündelt darstellen, die sich nur schwer verifizieren lassen – insbesondere wenn Angaben zur Arbeitsproduktivität, zu Schichtmodellen oder zum Automatisierungsgrad fehlen.
Für Cost Engineers sind die Erwartungen hoch – und das Risiko ebenfalls. Jede RFQ muss nicht nur technisch realisierbar, sondern auch wirtschaftlich tragfähig sein. Der Arbeitsanteil zählt zu den bedeutendsten Kostenfaktoren in der Fertigung – in Deutschland ist er schlicht nicht zu übersehen.
Ein Beispiel: Die durchschnittlichen Arbeitskosten bei Volkswagen lagen 2023 bei 57 € pro Stunde – das entspricht einem Anstieg von rund 33 % gegenüber vor zehn Jahren. Deutschland ist mittlerweile der teuerste Standort weltweit für die Produktion von Pkw. Laut einem Bericht von Reuters machten die Arbeitskosten bei Volkswagen mehr als 15 % des Umsatzes aus – ein deutlich höherer Anteil als bei BMW oder Stellantis, die intern zwischen 9,5 und 11 % angeben. Wie die BBC berichtete, nannten Führungskräfte unter anderem die hohen Löhne in Deutschland sowie langsame Entscheidungsprozesse als Ursachen für fehlende Wettbewerbsfähigkeit – und als Grund für weitere Einsparmaßnahmen. Diese Entwicklung zeigt: Selbst die etabliertesten Akteure stellen Investitionen in Deutschland zunehmend infrage.

Die steigenden Kosten spiegeln sich direkt in Lieferantenangeboten wider. Für Cost Engineers geht es nicht nur darum, überhöhte Preise zu erkennen, sondern auch darum, belastbare, datenbasierte Argumentationen aufzubauen – um entweder gezielter zu verhandeln oder alternative Sourcing-Pfade zu prüfen.
Ohne geeignete Tools müssen Cost Engineers unter Zeitdruck weitreichende Entscheidungen auf Basis inkonsistenter Daten, veralteter Excel-Dateien oder reiner Intuition treffen – was das Risiko erhöht und die Reaktionsgeschwindigkeit mindert. Jede unkritisch übernommene Kalkulation oder verzögerte Analyse kann Einsparpotenziale kosten – oder im schlimmsten Fall zum Verlust einer Ausschreibung führen.