Hinweis: Diese Episode ist auf Englisch.
Andreas Hartmann stammt aus Köln und studierte Jura, ist also Jurist von Ausbildung, bevor er in die Industrie wechselte. Er begann seine Karriere im Maschinenbau bei Klöckner-Humboldt-Deutz, damals ein börsennotiertes Unternehmen, wo er für Strategie und M&A verantwortlich war und später die Konzernfinanzierung leitete.
1995 wechselte er zu ZF Friedrichshafen AG, einem der weltweit größten Automobilzulieferer. Damals lag der Umsatz bei rund fünf Milliarden Euro; als Hartmann in den Ruhestand ging, war er auf fast 40 Milliarden angewachsen.
Später war er außerdem Of Counsel bei GSK Stockmann, einer der führenden deutschen Wirtschaftskanzleien, mit Fokus auf M&A und Automobilstrategie.
Wir fragten Andreas, wie die Stimmung in der deutschen Automobilindustrie zum Beginn des neuen Jahrtausends war.
Andreas: „Zu dieser Zeit herrschte noch sehr viel Optimismus. Jeder dachte, oh, das geht immer weiter aufwärts. Globalisierung war das große Thema. Wir gingen nach China, nach Indien, nach Mexiko, nach Osteuropa. Es boomte wirklich. Niemand dachte damals, dass es eine solche Disruption geben würde, wie wir sie jetzt sehen.“
Sasan: „Interessant. Also gab es damals keine Angst vor Konkurrenz aus Asien?“
Andreas: „Nein, nicht zu dieser Zeit. Natürlich gab es japanische Konkurrenz, aber die deutsche Industrie war noch sehr führend. Korea kam, Hyundai und Kia, aber sie wurden nicht als so starke Wettbewerber gesehen. Und China war überhaupt nicht auf dem Radar.“
Sasan: „Wann kam dann der Wendepunkt? Wann wurde den Leuten klar, dass China ein ernstzunehmender Wettbewerber werden würde?“
Andreas: „Das war wirklich um 2010 herum. Zu dieser Zeit wussten wir bereits, dass die Elektrifizierung unser Getriebegeschäft gefährden würde. Man braucht kein Sechsganggetriebe mehr. Vielleicht noch irgendeine Form von Getriebe, aber nicht mehr so viele Gänge, nicht mehr so viele Teile. Also fragten wir uns: Was sollen wir tun? Wie können wir sinkende Eigenproduktionsvolumina ausgleichen? An diesem Punkt wurde uns klar, dass China ein starker Wettbewerber sein könnte, weil sie direkt mit neuer Technologie starten konnten, ohne alte ersetzen zu müssen.“
Sasan fragte, ob Deutschlands starker Heimatmarkt nicht hätte genutzt werden sollen, um E-Mobilität früher zu forcieren.
Andreas: „Das eigentliche Problem für die deutsche Automobilindustrie war immer das Volumen. Konnten die Zulieferer genug Stückzahlen von den OEMs bekommen, um die Branche wirtschaftlich tragfähig zu machen? Damals dachte niemand an Subventionen oder staatliche Mittel. Es ging mehr darum, ob sich die Branche von selbst in die richtige Richtung entwickeln konnte.“
Das ständige Dilemma: Althergebrachte Produkte blieben profitabel, während neue Technologien es noch nicht waren. Zulieferer mussten beide Welten gleichzeitig bedienen.
Sasan: „Ist es nicht auch ein Problem, dass OEMs zunehmend lokal sourcen wollen, vor allem in China?“
Andreas: „Selbst wenn sie europäische Partner nutzen, vergleichen sie die Kosten mit dem lokalen Markt. Wenn chinesische Zulieferer günstiger liefern können, drängen OEMs europäische Zulieferer, nachzuziehen – und wenn die Lücke zu groß ist, wechseln sie. … Die Herausforderung heute ist, dass Deutschland nicht mehr der wettbewerbsfähigste Standort ist, mit hohen Energiekosten und starker Bürokratie. Deshalb sehen wir Entlassungen bei großen OEMs und Zulieferern – nicht weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Wie gelingt Transformation in einem Unternehmen mit jahrzehntelanger Geschichte? Hartmann beschrieb die Herausforderung:
Andreas: „Profitabilität kommt immer noch aus alten Produkten, während die neuen noch nicht so profitabel sind. Die Leute, die an den alten Produkten arbeiten, fühlen, dass sie die ‘verrückten Ideen’ der neuen finanzieren. Man muss Denkweisen ändern, ohne die Profitabilität des alten Geschäfts zu verlieren. Kommunikation ist der Schlüssel, aber es ist schwierig, weil die Leute nicht immer dieselbe Sprache sprechen.“
Die Übernahme von TRW war einer der größten Deals der Zulieferindustrie.
Andreas: „Eins plus eins muss mindestens zwei ergeben, nicht 1,5 oder weniger. Das ist der Schlüssel. Aber es ist nicht einfach. Manche Menschen fühlen sich unweigerlich als Verlierer, weil sie aus Positionen versetzt werden, die sie seit 20 Jahren innehatten. Man muss reorganisieren, aber gleichzeitig verhindern, dass sich Menschen widersetzen.“
ZF hatte jahrzehntelang eingebettete Software in Getrieben, Brems- und Lenksystemen. Doch die Erwartungen veränderten sich.
Andreas: „Der Unterschied heute ist, dass Verbraucher Software eher wie Computerfunktionen sehen – Konnektivität, Apps, Benutzeroberflächen. Dort wächst die Nachfrage.“
Über Datenhoheit sagte er: „Autos erzeugen enorme Mengen an Daten, die für viele Unternehmen sehr interessant sind. Wer sie kontrolliert, wird entscheidend sein. Mein altes Auto hatte physische Schalter für Temperatur und Sitzheizung. Mein neues packt alles auf einen Bildschirm, was ich gefährlich finde … Für jüngere Generationen ist das normal. Für mich fühlt es sich nicht natürlich an.“
Hartmann betonte, dass die Dimension der heutigen Veränderung in ihrer Gleichzeitigkeit liegt.
Andreas: „Das große Ding ist, dass alles gleichzeitig passiert. Technologie, Regionen, Regulierung – alles parallel. Neue Player starten bei null mit neuen Technologien. Etablierte Unternehmen müssen alt und neu balancieren. Das macht Transformation schwieriger.“
Und er zog einen Vergleich: „Manche Unternehmen werden überleben, manche verschwinden – wie in der Kameraindustrie. Die Japaner dominierten Kameras, dann kamen Smartphones. Manche Marken überlebten, andere nicht. Dasselbe wird in der Automobilindustrie passieren.“
Die erste Folge von Beyond Cost zeigt: Die deutsche Automobilindustrie steht an einem Scheideweg. Disruption ist global, schnell und unausweichlich. Die Frage, so Hartmann, ist nicht, ob Veränderung kommt – sondern welche Unternehmen sich schnell genug anpassen, um 2045 noch führend zu sein.