Batterieelektrische Fahrzeuge verändern die industrielle Landschaft grundlegend. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2025 verzeichneten europäische Automobilhersteller einen Anstieg der BEV-Verkäufe um 38 Prozent. Der Marktanteil von Elektroautos stieg auf 16,6 Prozent, nach 13,2 Prozent im Vorjahr. Der chinesische Newcomer BYD hat Tesla bei den europäischen Zulassungen überholt und damit das Kräfteverhältnis in einem Markt verschoben, der lange von etablierten Playern dominiert wurde. Gleichzeitig sanken die deutschen Erzeugerpreise im August um 2,2 Prozent – ein deutliches Signal, dass viele Rohstoff- und Komponentenpreise unter Druck stehen.
Diese Signale erzählen eine Geschichte der Disruption auf mehreren Ebenen. Die Nachfrage nach Elektroautos steigt, während klassische Verbrennermodelle an Boden verlieren. Die Wettbewerbsdynamik verschiebt sich, weil agile Neueinsteiger Marktanteile auf Kosten etablierter Hersteller gewinnen. Und die Kostenstrukturen entwickeln sich in entgegengesetzte Richtungen: Einige industrielle Vorprodukte werden günstiger, während Batterien und spezialisierte EV-Komponenten teuer bleiben. Für Cost Engineers bedeutet diese Mischung, dass die Grundarithmetik der Fertigung neu geschrieben wird.
Über Jahrzehnte hinweg beruhte das Kostenmodell in der Automobilproduktion auf relativ stabilen Annahmen. Stahl und Aluminium folgten zyklischen, aber berechenbaren Mustern. Skaleneffekte bei Verbrennungsmotoren senkten die Stückkosten. Lieferant:innen und OEMs verhandelten auf vertrautem Terrain. Dieses Fundament beginnt nun zu bröckeln.
Der Boom der EV-Nachfrage bringt neue Komplexität. Statt stabiler Plattformen und Volumina bringen OEMs Dutzende neue Elektromodelle gleichzeitig auf den Markt, was die Produktion fragmentiert. Neueinsteiger wie BYD treten mit schlanken, EV-zentrierten Kostenstrukturen an, während etablierte Hersteller die Doppelbelastung von ICE- und EV-Produktion tragen. Parallel dazu sinken die Materialpreise, was Lieferant:innen zwingt, ihre Angebote anzupassen und kaum Raum für Ineffizienzen lässt. Die Rechnung ist nicht mehr linear.
Ein Rückgang der Erzeugerpreise um 2,2 Prozent mag auf dem Papier klein wirken, doch im Cost Engineering kann er Verhandlungen und Margen erheblich beeinflussen. Wenn Lieferant:innen ihre Preise senken, müssen Hersteller dies in ihren eigenen Angeboten widerspiegeln – oder riskieren, vom Wettbewerb verdrängt zu werden. Gleichzeitig bringt der rasche Ausbau der EV-Produktion kostspielige Elemente wie Batteriepacks, Inverter und Seltene-Erden-Materialien mit sich, die sich kaum flexibilisieren lassen. Eine Seite der Gleichung entspannt sich, während die andere sich verschärft.
Diese Spannung erklärt, warum traditionelle Methoden der Kalkulation, insbesondere Excel-basierte Modelle mit seltenen Updates, zunehmend ungeeignet sind. Eine Tabelle, die auf den Annahmen des Vorjahres basiert, überschätzt in manchen Bereichen die Kosten und unterschätzt sie in anderen. Das Ergebnis sind Angebote, die danebenliegen – entweder durch Margenverlust oder durch verlorene Aufträge.
Die Disruption ist keine ferne Prognose, sondern Realität. Die BEV-Durchdringung steigt Quartal für Quartal, und Neueinsteiger verändern das Marktgefüge. Die Europäische Union zieht das regulatorische Netz mit CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism), der Batterieverordnung und IMDS 15 enger und verankert CO₂ als zusätzliche Kostendimension. Für Cost Engineers bedeutet dies, dass die „Mathematik“ nicht länger eine feste Formel ist. Es ist eine bewegliche Gleichung mit Variablen, die sich jeden Monat ändern: Rohstoffpreise, Lieferstrategien, regulatorische Kosten und Kundenerwartungen.
Um sich in diesem Umfeld zurechtzufinden, sollten Cost Engineers fünf Prioritäten verfolgen:
Szenarien einbauen
Modelle müssen in der Lage sein, unterschiedliche Kostenpfade – von optimistisch bis konservativ – abzubilden. Dazu gehören sowohl ICE- als auch EV-Kostenstrukturen, die sich inzwischen deutlich unterscheiden.
Daten häufiger aktualisieren
Eingabedaten zu Materialien, Energie und Arbeit sollten monatlich oder vierteljährlich statt nur jährlich aktualisiert werden. So sinkt das Risiko, Teile auf Basis veralteter Annahmen zu kalkulieren.
CO₂ mit Kosten verknüpfen
Beschaffungsentscheidungen sollten sowohl €/Stück als auch kgCO₂e/Stück berücksichtigen. Diese doppelte Perspektive bereitet Teams auf regulatorische Anforderungen vor und entspricht den Erwartungen der Kund:innen.
Transparente Lieferantendaten einfordern
Detaillierte Aufschlüsselungen von Material-, Arbeits-, Energie- und Emissionsdaten bilden die Grundlage für präzises Should Costing und stärkere Verhandlungen.
Kalkulations-Workflows modernisieren
Kollaborationstools und cloudbasierte Software ermöglichen schnellere Reaktionen, Versionenkontrolle und reduzieren die Risiken manueller Excel-Prozesse.
Die EV-Disruption verändert mehr als nur den Antriebsstrang. Sie verändert die ökonomischen Grundlagen der Fertigung. Nachfrage, Wettbewerb und Kosten sind keine berechenbaren Konstanten mehr, sondern bewegliche Kräfte, die Agilität erfordern. Für Cost Engineers ist die Herausforderung klar: Modelle entwickeln, die mit der Disruption Schritt halten – oder mit Zahlen arbeiten, die nicht mehr aufgehen.